Die Corona-Pandemie hat viele Eltern in Bedrängnis gebracht. Ihre Kinder konnten nicht mehr in die Kita oder zur Schule. Doch allein zu Hause? Das ist erst ab einem gewissen Alter möglich. Das wirft Fragen auf: Was passiert, wenn die Erziehungsberechtigten keine Aufsicht bzw. Betreuung organisieren können? Welche Rechte haben Eltern, das selbst zu übernehmen und somit vom Arbeitsplatz fernzubleiben? Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen kann das haben? Welche Gesetze bieten eine Grundlage, um mit der Situation umzugehen? Dieser Artikel klärt über die wesentlichen Eckpunkte auf.
Die Rechtsgrundlage: persönlicher Verhinderungsgrund
Jüngere Kinder bis zwölf Jahre benötigen eine Betreuung. Schließt ein Kindergarten oder eine Schule vorübergehend, müssen sich die Eltern um eine Ersatzbetreuung bemühen. Das ist nicht immer möglich. Wenn die Großeltern, andere Verwandte, Bekannte oder andere Alternativen wie Tagesmütter nicht zur Verfügung stehen, bleibt den Eltern nur, selbst einzuspringen. Dazu müssen sie dem Arbeitsplatz fernbleiben. Das ist durchaus erlaubt.
Arbeitsverweigerungsrecht und Lohnfortzahlung
Grundsätzlich gilt, dass nur ein Elternteil die Kinderbetreuung übernehmen muss und somit in dieser Situation aus rechtlicher Sicht übernehmen kann. Es dürfen also nicht beide Eltern zu Hause bleiben.
Muss ein Erziehungsberechtigter bei Schließung von Kindergarten oder Schule seinen Sprössling selbst betreuen, fällt er beim Arbeitgeber aus. In Familien mit zwei Berufstätigen oder bei Alleinerziehenden kommt es folglich zu einem Konflikt zwischen Kinderbetreuung und Pflicht zum Erfüllen des Arbeitsvertrages.
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht zwei wichtige Passagen vor. § 275 (3) BGB erlaubt es Arbeitnehmern, der Arbeit fernzubleiben:
„Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.“
Das bedeutet: Muss er sein Kind betreuen, kann dem Arbeitnehmer das Erfüllen des Arbeitsvertrags nicht zugemutet werden. Er hat ein Leistungsverweigerungsrecht. Voraussetzung ist allerdings, dass es keine andere Betreuungsmöglichkeit gibt.
Die daraus folgende Frage nach der Lohnfortzahlung beantwortet wiederum § 616. Dort heißt es zum Thema vorübergehende Verhinderung unter anderem:
„Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.“
Übersetzt bedeutet dies: Wenn ein Elternteil für eine kurze Zeit aus persönlichen, nicht von ihm verursachten Gründen nicht zur Arbeit erscheinen kann, erhält er eine Lohnfortzahlung. Wichtig ist jedoch, sich rechtzeitig beim Arbeitgeber mit Verweis auf das Schließen der Einrichtung abzumelden.
Daraus ergibt sich jedoch eine wichtige Konsequenz: Wenn die Schließung aus amtlichen Gründen flächendeckend angekündigt wurde oder ein ausgedehnter regionaler Streik stattfindet, liegt nach Auffassung der meisten Experten kein „in der eigenen Person liegender Grund“ mehr vor. Denn dann betrifft die Schließung sehr viele und nicht nur einzelne Eltern. Das bedeutet: Zwar greift § 275 (3) BGB, aber nicht mehr die Lohnfortzahlung nach § 616 BGB.
Achtung, Lohnfortzahlung kann bei erforderlicher Kinderbetreuung entfallen
Es gibt allerdings mehrere Haken. Unter „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ versteht die Rechtsprechung in der Regel einige wenige Tage. Dauert die Schließung der Kita bzw. Schule mehr als ca. drei Tage an, kann der rechtliche Schutz der Lohnfortzahlung entfallen. Selten gab es bisher eine Rechtsprechung, die in Einzelfällen bis zu zwei Wochen als „verhältnismäßig“ ansah.
Aber Achtung: Viele Tarif- oder Arbeitsverträge schließen die Rechtsgrundlage nach § 616 BGB bereits aus. Das heißt: In all diesen Fällen besteht kein Anspruch auf Lohnfortzahlung mehr.
Hinzu kommen weitere Hürden. Denn im Zweifelsfall muss der betroffene Arbeitnehmer nachweisen, dass keine alternative Betreuung für das Kind organisierbar ist. Das dürfte in den meisten Fällen schwierig sein, da Tagesmütter und andere Möglichkeiten in den meisten Kommunen vorhanden sind.
Ebenso kann ein Arbeitgeber darauf drängen, Überstunden abzubauen oder – sofern machbar – ins Home Office zu gehen oder alternativ andere Arbeitszeiten zu nutzen, in denen eine Kinderbetreuung durch zum Beispiel den Partner möglich ist.
Der „persönliche Verhinderungsgrund“ als „bezahlte Freistellung“ ist also zum einen eine Notlösung. Arbeitnehmer können diesen nur in Anspruch nehmen, wenn es keine Alternativen gibt. Zum anderen ist er kein Freifahrtsschein, der Arbeit länger fernzubleiben.
Im Streitfall kommt es auf eine individuelle Betrachtung und ein Stück weit auf die Kulanz des Arbeitgebers an. Spätestens dann, wenn die Schließung voraussichtlich wenigstens eine Woche andauert, sollten Arbeitnehmer einen anderen Ausweg suchen.
In vielen Fällen ist es ratsam und möglich, gemeinsam mit dem Arbeitgeber eine einvernehmliche Lösung zu finden. Ein Gespräch ist besser als ein offener Konflikt. Ebenfalls sollten Eltern sich unverzüglich um eine Ersatzbetreuung wie eine Tagesmutter oder eine ähnliche Lösung bemühen, um die Situation zu entschärfen.
Überstunden, Urlaub, Abmahnung, Kündigung: Was darf der Arbeitgeber?
Im Detail ergeben sich viele Fragen, wenn der Arbeitnehmer ein Kind betreuen muss, weil Kindergarten bzw. Schule geschlossen haben. Neben der Zeitspanne des Fernbleibens rücken schnell weitere Aspekte in den Fokus.
- Muss der Arbeitnehmer alternativ Überstunden abbauen?
Die beiden Paragrafen des BGB sind für eine „kurze Zeit“ verbindlich, sofern kein anderer Vertrag die Anwendung ausschließt. Anschließend ist für alle Beteiligten der Abbau von Überstunden eine sehr gute Option, um zum beidseitigen Vorteil eine Lösung zu finden. - Kann der Arbeitgeber drängen, unbezahlten Urlaub zu nehmen?
Schließen andere Vereinbarungen das Anwenden von § 616 BGB nicht aus, gibt es eine klare Rechtsgrundlage. Ist anschließend der Überstundenabbau oder eine andere Form der Belastung des Arbeitszeitkontos nicht möglich, kann der Arbeitgeber tatsächlich auf alternative Regelungen drängen. Unbezahlter Urlaub ist eine der möglichen Optionen, die im Einklang mit § 275 BGB steht und zugleich den Arbeitgeber entlastet. - Darf der Arbeitgeber verlangen, Urlaubstage zu nutzen?
Nein. Der Erholungsurlaub ist zur Erholung gedacht. Der Arbeitgeber darf seine Angestellten nicht zwingen, für die Zeit der Kinderbetreuung noch verfügbare Urlaubstage zu nutzen. Der Arbeitnehmer darf aber seinerseits bezahlten Urlaub nehmen, was für beide Seiten in der Situation vorteilhaft sein kann. - Darf der Erziehungsberechtigte sein Kind mit in den Betrieb bringen?
Das kommt auf den Einzelfall an, der in einem Gespräch zwischen beiden Parteien auszuloten ist. Einige Betriebe bieten beispielsweise eine eigene Kinderbetreuung. Meistens ist es jedoch – u. a. aus Gründen des Arbeitsschutzes – nicht möglich, Kinder mit zur Arbeit zu bringen. - Darf sich der Arbeitnehmer alternativ einfach krankmelden?
Nein. Sofern nicht tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, begibt sich der Arbeitnehmer hier in den Bereich der Täuschung. Schlimmstenfalls kann eine fristlose Kündigung folgen. Anders ist es, wenn in dieser Zeit das Kind erkrankt. Dann besteht Anspruch auf das „Kinderkrankengeld“, das zehn bezahlte Betreuungstage (20 Tage bei Alleinerziehenden) im Jahr vorsieht.
- Darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer beim Fernbleiben abmahnen?
Wenn der Arbeitnehmer das Fernbleiben erläutert und ggf. einen Nachweis über fehlende Betreuungsmöglichkeiten erbracht hat, ist eine Abmahnung unzulässig. Allerdings darf der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Abmahnung aussprechen, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitsplatz ohne Abstimmung fernbleibt. - Darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Kündigung aussprechen?
Analog zur unzulässigen Abmahnung darf der Arbeitgeber seinem Angestellten nicht einfach kündigen, wenn dieser sein Kind betreuen muss. Sollte der Arbeitnehmer jedoch unentschuldigt fehlen oder es bereits ein vorbereitetes Kündigungsverfahren aus anderem Grund geben, ist eine Kündigung unter Beachtung des Kündigungsschutzgesetzes während der Betreuungszeit statthaft.
Sonderregelung zur Corona-Pandemie 2020/2021
Zu Beginn der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung im März 2020 eine Reihe von Maßnahmen verabschiedet, um die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 zu verlangsamen. Dazu gehörte unter anderem die Schließung der Kindertagesstätten und Schulen durch die Länder. Im sogenannten Sozialschutz-Paket vereinfachte die Regierung auch den Umgang mit der daraus resultierenden Kinderbetreuung. Die Maßnahmen gelten voraussichtlich bis zum 31.03.2021.
Das Gesetzespaket schließt insbesondere die zeitliche Lücke, die sich aus den BGB ergibt. Die Regierung erlaubt die Betreuung der eigenen Kinder über mehrere Tage hinaus. Um die Arbeitgeber nicht einseitig zu belasten, erhält der betreuende Elternteil jedoch keine Lohnfortzahlung. Dafür bietet die Bundesregierung eine Entschädigung für die Betreuungszeit, die jedoch bei nur 67 Prozent des Netto-Verdiensts liegt und zusätzlich auf monatlich 2.016 Euro gedeckelt ist. Ebenfalls ist die Dauer für die Ausgleichszahlung bisher auf längstens 10 Wochen beschränkt, für Alleinerziehende auf 20 Wochen. Ausgeschlossen sind alle Erziehungsberechtigten, für deren Kinder eine Notbetreuung möglich ist. Eine weitere Hürde sieht vorrangig den Abbau von Überstunden vor. Erst dann folgt die Anwendung der Entschädigungsregel.
Den Betrag zahlen die Arbeitgeber für den Staat aus. Das bedeutet: Betroffene Eltern und der Arbeitgeber stellen den Antrag idealerweise gemeinsam bei der zuständigen Behörde. Diese zahlt den Betrag nach § 56 Abs. 5 IfSG (Infektionsschutzgesetz) über den Arbeitgeber an die Eltern aus. Diese Gesetzregel gilt nur für die Zeit der amtlichen Schließungen der Kitas und Schulen während der Corona-Pandemie.
Aktuell: Angesichts der steigenden Infektionszahlen wurden die Maßnahmen zum Corona-Lockdown erneut verschärft und Kitas und Schulen geschlossen. Aus diesem Grund haben Bund und Länder beschlossen Eltern im Jahr 2021 20 Kinderkrankentage pro Elternteil zu gewähren, um die Kinderbetreuung sicherzustellen. Alleinerziehende sollen 40 Kinderkrankentage erhalten. Mehr dazu hier!
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