Bei häufiger oder langfristiger Arbeitsunfähigkeit stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber berechtigt sein könnte, dem Arbeitnehmer eine Kündigung wegen Krankheit auszusprechen. In diesem Beitrag erfahren Sie, was eine personenbedingte Kündigung ist, ob wegen Krankheit gekündigt werden darf und welche Voraussetzungen dafür vorliegen müssen.
Außerdem lernen Sie Möglichkeiten kennen, wie Arbeitnehmer gegen eine Kündigung aufgrund von Krankheit vorgehen können und wir klären die Frage, ob bei einer solchen Kündigung eine Abfindung verlangt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
Was ist eine personenbedingte Kündigung?
Das deutsche Arbeitsrecht sieht vor, dass eine Kündigung nur dann ausgesprochen werden darf, wenn ein es einen relevanten Kündigungsgrund gibt (§ 1 KSchG). Man unterscheidet zwischen drei Arten von Kündigungsgründen:
- Verhaltensbedingte Kündigung: Arbeitnehmer wird gekündigt, weil er / sie besser arbeiten könnte, es aber nicht will.
- Betriebsbedingte Kündigung: Arbeitnehmer wird gekündigt, weil er / sie gerne arbeiten würde, aber aus betrieblichen Gründen nicht darf.
- Personenbedingte Kündigung: Arbeitnehmer wird gekündigt, weil er / sie besser arbeiten könnte, es aber nicht kann.
Bei der krankheitsbedingten Kündigung wird unterstellt, dass der Arbeitnehmer arbeiten würde, dies aber aufgrund der Krankheit nicht kann. Bei der krankheitsbedingten Kündigung handelt es sich deshalb um eine personenbedingte Kündigung.
Kündigungsschutz bei Krankheit genießen Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als sechs Monaten in Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern.
Ist eine Kündigung wegen Krankheit erlaubt?
Grundsätzlich ist eine Kündigung wegen Krankheit möglich und erlaubt. Ein Beschäftigungsverhältnis ist für den Arbeitnehmer kein Garant dafür, dass er den Lohn erhält, obwohl keine Arbeitsleistung verrichtet wird. Dabei ist der Grund für die Verhinderung zweitrangig. Vielmehr müssen die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegeneinander abgewogen werden, um zu einer fairen Lösung zu gelangen. Schließlich kann nicht vom Arbeitgeber verlangt werden, dass er wieder und wieder die ersten sechs Wochen der Krankheit den Lohn fortzahlen muss.
Lesetip: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
Übrigens: Nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit erlischt dieser Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber und das Krankengeld setzt in der Regel ein.
Voraussetzungen für eine Kündigung wegen Krankheit: 3-Stufen-Prüfung
Eine Kündigung wegen Krankheit ist arbeitsrechtlich häufig problematisch. Das liegt daran, dass es nicht ausreicht, dass der betroffene Mitarbeiter gelegentlich krank ist. Der Gesetzgeber stellt hohe Anforderungen an eine derartige personenbezogene Kündigung. Deshalb hat sich mit der Zeit vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) eine dreistufige Prüfung entwickelt, die ermitteln soll, ob eine Kündigung wegen Krankheit zulässig ist oder nicht. Nur wenn alle drei Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen, ist die Kündigung wirksam.
1. Negativprognose – vier Fälle:
Der erste und vielleicht wichtigste Punkt ist das Vorliegen einer sogenannten „Negativprognose“. Dabei handelt es sich um eine datenbasierte Vorhersage, die belegen muss, dass auch in Zukunft mit unbillig vielen Arbeitsausfällen gerechnet werden muss. Die Negativprognose muss
- objektiv beweisbar sein,
- auf Daten basieren (genaue Erfassung der Fehlzeiten über einen ausreichend langen Zeitraum).
Wann eine Negativprognose annehmbar ist, hängt auch von der Art und Regelmäßigkeit der Krankmeldung ab. Hier haben sich in der Rechtspraxis vier Fallgruppen gebildet:
Häufig kurz krank
Wenn Arbeitnehmer häufig für eine relativ kurze Zeit erkrankt sind, dann müssen sie mindestens 20 Prozent der Jahresarbeitstage krank gewesen sein, damit eine Negativprognose abgegeben werden kann. Bei einer Fünf-Tage-Woche wären das ca. 45 Fehltage. Der Beobachtungszeitraum liegt nach ständiger Rechtsprechung bei drei Jahren (hintereinander). Beispiel für eine Negativprognose bei häufig kurzen Krankheiten:
Jahr 1 | 46 Tage krank | (+) |
Jahr 2 | 50 Tage krank | (+) |
Jahr 3 | 47 Tage krank | (+) |
Wäre der Angestellte im zweiten Jahr jedoch nur 14 Tage krank gewesen, könnte keine Negativprognose abgegeben werden.
Langzeiterkrankung
Der zweite Fall tritt dann ein, wenn Arbeitnehmer dauerhaft krank sind und nicht arbeiten können. Dauerhaft bedeutet hier, dass Mitarbeiter zwischen vier Monaten und zwei Jahren fehlen. Der ausschlaggebende Faktor hier ist die Betriebszugehörigkeit. Diese bemisst sich nach der Zeitspanne, die der Arbeitnehmer vor der Erkrankung bereits im Betrieb gearbeitet hat. Je länger Arbeitnehmer im Betrieb sind, umso länger können sie erkrankt sein, ohne dass eine Negativprognose gestellt werden darf. Zwei Beispiele:
- Arbeitnehmer ist seit einem Jahr im Betrieb und fehlt bereits 6 Monate (50 % der Zeit) = Negativprognose eher (+)
- Arbeitnehmer ist bereits seit 15 Jahren im Betrieb und fehlt erstmalig für 8 Monate = Negativprognose eher (-)
Krankheitsbedingte Schlechtleistung
Ein Sonderfall tritt ein, wenn der Arbeitnehmer nicht so krank ist, dass er nicht arbeiten kann, die Erkrankung seine Arbeitsleistung jedoch negativ beeinflusst. Sprich: Er kann den Arbeitsvertrag nicht erfüllen, da er krankheitsbedingt nicht imstande ist, die geforderte Arbeitsleistung zu erbringen.
Ab wann hier eine Negativprognose zur Kündigung wegen Krankheit erstellt werden darf, ist strittig. Der übliche Ablauf ist (hier am Beispiel eines Fabrikarbeiters):
- Messung der durchschnittlichen Arbeitsleistung pro Person im Betrieb – wie viele Produkte stellt ein Mitarbeiter pro Arbeitstag her?
- Messung der Arbeitsleistung der betroffenen Person – wie viele Produkte stellt der / die durch Krankheit Belastete her?
- Vergleich dieser Werte: um wie viel Prozent liegt die Arbeitsleistung unter dem Durchschnitt?
Um eine Negativprognose abgeben zu können, muss die Arbeitsleistung des erkrankten Mitarbeiters mindestens 30 % schlechter sein der Durchschnitt. Der Beobachtungszeitraum erstreckt sich auf ein Jahr.
Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
Relativ unproblematisch ist es dann, wenn ein Arzt eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit feststellt. Hier ist es ärztlich bestätigt, dass der Mitarbeiter auch in Zukunft nicht mehr seinem Beruf nachgehen kann. Eine Negativprognose ist damit regelmäßig anzunehmen.
2. Dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitgeberinteressen
Im nächsten Schritt muss geprüft werden, ob die Krankheit des Mitarbeiters in erheblicher Weise den berechtigten Arbeitgeberinteressen entgegensteht. Es werden
- wirtschaftliche und
- betriebliche Interessen
beachtet. Es wird also geprüft, ob die Fehlzeiten zu einer innerbetrieblichen Störung führen – beispielsweise dann, wenn regelmäßig eine wichtige Position unbesetzt bleiben muss.
Ebenso kann die Interessenbeeinträchtigung darin gesehen werden, dass der Arbeitgeber der finanziellen Belastung der ständigen Lohnfortzahlung ausgesetzt ist – vor allem bei häufig kurzen Erkrankungen. Schließlich muss er die Lohnkosten für die ersten sechs Wochen der Krankheit tragen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten.
Sofern eine Negativprognose korrekt attestiert wurde, liegt die Interessenbeeinträchtigung in den meisten Fällen vor. An diesem Punkt scheitert die Prüfung einer Kündigung wegen Krankheit nur selten.
3. Interessenabwägung vor personenbedingter Kündigung
Zuletzt müssen die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegeneinander abgewogen werden:
- Der Arbeitgeber möchte sich des Mitarbeiters entledigen.
- Der Arbeitnehmer möchte seine Stelle behalten.
Damit die krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen werden darf, muss diese Abwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. Gleichzeitig muss die Kündigung das mildeste Mittel sein (juristisch: „ultima ratio“). Das bedeutet umgekehrt, dass sich die Parteien vor der Kündigung um eine weniger belastende Lösung bemüht haben müssen.
Nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) muss ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt werden. Diese Pflicht ergibt sich auch aus § 167 Abs. 2 SGB IX. Ziel des BEM ist es, eine Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und zukünftig zu verhindern. Typische Maßnahmen können sein:
- Anpassung des Arbeitsplatzes
- Versetzung (innerbetrieblich: bspw. andere Abteilung)
- Reha- und Kurmaßnahmen
- Stufenweise Wiedereingliederung im Betrieb
Eine Kündigung wegen Krankheit kann praktisch nur durchgeführt werden, wenn das BEM gescheitert ist. Das betriebliche Eingliederungsverfahren gilt auch dann als gescheitert, wenn der Mitarbeiter seine Teilnahme verweigert.
Abmahnung wegen Krankheit oder fristlose Kündigung?
Normalerweise gilt, dass ein Mitarbeiter stets abgemahnt werden muss, bevor eine Entlassung ausgesprochen werden kann. Diese Regel gilt jedoch nur für die verhaltensbedingte Kündigung. Bei einer Kündigung wegen Krankheit muss keine Abmahnung erfolgen. Das macht auch Sinn, da der Betroffene seine Krankheit nicht einfach abstellen kann.
Lesetipp: Abmahnung im Arbeitsrecht
Die Kündigung durch den Arbeitgeber erfolgt mit der entsprechenden Kündigungsfrist nach nach § 622 BGB. Eine fristlose Kündigung wegen Krankheit ist nicht vorgesehen. Nur in Ausnahmefällen kann die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund einschlägig sein.
Sonderfall: Kündigung wegen Krankheit in der Probezeit
Das Kündigungsschutzgesetz greift erst ab einer Arbeitsdauer von sechs Monaten. Mithin hat der Mitarbeiter in der Probezeit quasi keinen Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber braucht keinen Kündigungsgrund, um zu kündigen.
Anspruch auf Abfindung bei krankheitsbedingter Kündigung
Wurde einem Arbeitnehmer berechtigterweise wegen Krankheit gekündigt, stellt sich schnell die Frage, ob ein Anspruch auf Abfindung besteht. In der Praxis sieht es aber so aus, dass es nach der krankheitsbedingten Kündigung prinzipiell keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung gibt.
Nochmal zur Erinnerung: Die krankheitsbedingte Kündigung wird ja ausgesprochen, da der Arbeitnehmer aufgrund seiner Krankheit den Arbeitsvertrag nicht (vollständig) erfüllen kann.
Manche Arbeitgeber zahlen aus Kulanz eine gewisse Summe (die Absprachen müssen individuell getroffen werden). Ebenso kommt es vor, dass eine Abfindung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer gerichtlich gegen die Kündigung vorgeht. In diesem Fall ist die Abfindung jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die Klage fallengelassen wird.
Was kann man gegen die Kündigung wegen Krankheit machen?
Eine Kündigung wegen Krankheit ist aus arbeitsrechtlicher Sicht mit hohen Hürden verbunden. Umgekehrt bedeutet das für Arbeitnehmer, dass die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage vor Gericht relativ gut sein können. Häufige Probleme für den Arbeitgeber ergeben sich bei:
- Korrekter Erstellung der Negativprognose (kann nicht bewiesen werden oder ist aufgrund des typischen Krankheits- bzw. Heilungsverlaufs nicht haltbar) – s. Punkt 1
- Die Beeinträchtigung ist nicht erheblich genug – s. Punkt 2
- Es wurde keine faire, gesetzeskonforme Interessenabwägung durchgeführt – s. Punkt 3
Bitte beachten: Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eingereicht werden, da die Kündigung sonst rechtswirksam wird und nicht mehr angegriffen werden kann.
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